Während sich ein akuter Fachkräftemangel in der österreichischen Wirtschaft bemerkbar macht, will vor allem die jüngere Generation nicht mehr in traditionellen „nine-to-five“-Angestelltenverhältnissen arbeiten. Neue Erwartungen werden an die Work-Life-Balance geknüpft und es stellt sich die Frage, ob Arbeit Beruf oder Berufung ist. „Arbeitgeber:innen sind gefordert, sich ständig weiterzuentwickeln, um ein attraktives Berufsumfeld bieten zu können und einerseits junge Talente anzuziehen und andererseits langjährige Mitarbeiter:innen zu motivieren“, weiß Michael Umfahrer, Präsident der Österreichischen Notariatskammer. „Es ist uns ein großes Anliegen, diesen Anforderungen auch innerhalb der österreichischen Notariatskanzleien gerecht zu werden. Fortbildungsmaßnahmen, interne und externe Schulungen sowie Team-Building-Events und eine positive Unternehmenskultur gehören zu unseren Kerninitiativen. Daher hat es mich sehr gefreut, Gerhard Drexel und Jörg Spreitzer als zwei der führenden Experten auf diesem Gebiet beim Notarion begrüßen zu dürfen“, so Michael Umfahrer, der selbst Arbeitsgeber für zehn Notariatsmitarbeiter:innen ist.
Wie findet man für jeden Mitarbeitenden die individuell passende Karriereperspektive?
Gerhard Drexel: Um die individuell passende Karriereperspektive für den einzelnen Mitarbeiter bzw. für die einzelne Mitarbeiterin zu finden, ist es notwendig, dass die Führungskraft über die individuellen Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden genau Bescheid weiß. Jahrelange persönliche und direkte Zusammenarbeit erleichtert diese Beurteilung durch die Führungskraft. Und dann braucht es Fantasie und Kreativität bei der Führungskraft und beim jeweiligen Mitarbeitenden, wie die Karriereperspektive aussehen könnte. Ziel sollte immer sein, persönliche Stärken durch die einzelnen Karriereschritte noch stärker zur Geltung zu bringen. Auf beiden Seiten – Führungskraft und Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterin – braucht es auch die Fähigkeit, loslassen zu können: sich vom bisherigen Platz im Unternehmen und den bisherigen liebgewonnenen Aufgaben zu trennen, um an anderer Stelle im gleichen Unternehmen auf der Erfolgsleiter empor zu steigen.
Wie motiviert man Mitarbeitende, die „Dienst nach Vorschrift“ machen?
Gerhard Drexel: Um diese Mitarbeitenden, die nur „Dienst nach Vorschrift“ machen, aus dem „Stand-by-Modus“ herauszuholen, braucht es empathische Führungskräfte. Menschen folgen immer Menschen. Deshalb wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berührt werden von einer mitreißenden Vision, von einer einzigartigen Strategie, die ihnen von den Führungskräften mit Überzeugungskraft und Wertschätzung vermittelt werden. Wenn es gelingt, dass die Mitarbeitenden den Sinn ihrer spezifischen Arbeit erkennen und ihre Arbeit im großen Unternehmensgefüge einordnen können, sind sie intrinsisch motiviert, und es ist der Grundstein gelegt, dass sie buchstäblich über sich hinauswachsen.
Was verstehen Sie persönlich unter „Führung auf Augenhöhe“? Wie lässt sich diese erreichen?
Gerhard Drexel: „Führung auf Augenhöhe“ gelingt besonders gut, wenn der bzw. die Vorgesetzte in der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden die Hierarchie nicht betont oder – noch besser – für ein hierarchiefreies Klima sorgt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll das Gefühl vermittelt werden, dass ihre Ideen und Meinungen nicht nur erlaubt, sondern geradezu erwünscht sind. „Führung auf Augenhöhe“ erfordert auch, dass die Führungskräfte gut zuhören können und ein echtes Interesse am Dialog und dem Austausch mit den Mitarbeitenden zeigen.
Was zeichnet einen guten Arbeitsplatz heutzutage aus? Gibt es Unterschiede zwischen den Branchen?
Jörg Spreitzer: Wir von Great Place to Work® messen global bereits seit 30 Jahren, was einen guten Arbeitsplatz auszeichnet. Wichtig dabei ist, dass wir nicht werten sondern neutral berichten was Mitarbeitende antworten: Ein vertrauensvolles Miteinander, egal ob mit der Führungskraft oder im Team untereinander. Eine Arbeitsplatzkultur, in der jede:r seine Potentiale frei entfalten kann, ganz im Sinne unserer Great Place to Work® FOR ALL™ Mission. Dies macht Unternehmen besonders innovativ und somit erfolgreich, und zwar in jeder Branche.
Welche Rolle spielt das Employer Branding, wenn es darum geht, junge Talente auf sich aufmerksam zu machen?
Jörg Spreitzer: Employer Branding ist ein MUST HAVE für alle Unternehmen. Aber es gilt einen Punkt immer zu erfüllen: Authentizität. Was nach außen kommuniziert wird, muss nach innen auch wirklich gelebt werden, sonst geht es sogar „nach hinten los“. Besonders den jungen Talenten ist das wichtig, da die Wechselbereitschaft in dieser Zielgruppe wesentlich stärker ist, bemerkt man fehlende Authentizität auch sehr schnell und mit unangenehmen Folgen für das Unternehmen. Deswegen gilt es, mit einer vertrauensvollen Unternehmenskultur und empathischen Führungskräften Aufmerksamkeit zu erzeugen, das kann ein wesentlicher Differentiator sein.
Welche Anforderungen werden die Arbeitnehmer:innen von morgen an Unternehmen stellen?
Jörg Spreitzer: Unternehmen müssen sich vor allem diesen Trends stellen: New Leadership (Vertrauen), Flexibilität (moderne Arbeitszeitmodelle) und Fairness (Arbeitsbedingungen & DEI - Diversity, Equity and Inclusion). Das sind die wichtigsten Attribute, die Unternehmen in den nächsten Jahren zu ganz besonderen Arbeitgebern mit einer starken Employer Brand werden lassen. So wie unsere Best Workplaces™ heute schon sind (Leuchttürme). Die 6 wichtigsten Punkte, die wir in unserer aktuellen Studie veröffentlich haben sind: 1. Glaubwürdige Führung, 2. Interesse an der Einzelperson, 3. Work-Life-Blending, 4. Gerechte Behandlung und faire Beförderungen, 5. Guter Teamgeist, 6. Spaß bei der Arbeit.
Vielen Dank für das Gespräch!